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Dienstag, 9. Oktober 2012

Dynamo präsentiert sich kämpferisch: 1:1 in Köln


Ein taktisch und psychologisch überaus interessantes Montagsspiel. 
Kölns Fluidität mit Hang zum Chaos
Das prägende Element des Spiels war die brutalst offensive Spielweise der Kölner, die versuchten, den Gegner mit maximalem Risiko nach hinten zu drücken, extrem viele Spieler hinter den Ball brachten und dabei mit irre weitläufigen Positionswechseln arbeiteten – Beschwerden über die vielen Pfeile in der Formationsgrafik also bitte nicht unter den Artikel schreiben, sondern per Post an Holger Stanislawski.
Mit etwas Eingewöhungszeit ließen sich aber in der wechselhaften Kölner Formation durchaus Strukturen erkennen. Diese waren vielschichtig und nahmen öfters chaotische Züge an, aber hatten ein durchaus geschicktes Fundament. Die Aufgabenverteilung war auf dem ganzen Feld stark asymmetrisch und die Spielerrollen ergänzte sich dabei zu einer ganz ordentlichen Balance.

Eine Beispielszene für Kölns weit vorgeschobene Stellung. Besonders die Positionen von Koch und Eichner sind interessant.
Die Basis für das FC-Ballbesitzspiel waren dabei offensichtlich die Außenverteidiger Eichner und Brecko, die sehr früh vorschoben und sich meist auf Höhe des offensiven Mittelfelds aufhielten. So wurden Dynamos Flügelspieler Koch und Ouali nach hinten gezogen, oft sogar in eine Sechserkette. Da es ihnen nur sehr selten gelang, ihre Gegenspieler an den Hintermann zu übergeben wurden die äußeren Räume in Dynamos Pressingformation freigeräumt, wo Köln in aller Ruhe das Spiel aufziehen konnte.
Diese Räume nutzten sie flexibel. Auf der linken Seite agierte Wimmer sehr weit außen und zeigte sich spielstark. Nebenmann Maroh hielt sich mehr zurück und ging nur manchmal nach außen, während sein Vordermann Strobl sich anpasste. Ohnehin war Strobl der zentrale Balance-Spieler der Kölner – je nach Situation besetzte er Mittelfeldräumefiel zwischen die Verteidiger zurück oder kippte nach rechts heraus. Dadurch hielt er das Kölner Spiel am Laufen und schuf Freiheiten für Lehmann.
Dieser war Kölns zentraler Spielgestalter und bewegte sich quer durchs gesamte Mittelfeld, stieß manchmal sogar mit in die Spitze. Wenn er sich rechtsseitig orientierte, unterstützte ihn Bigalke in den ersten 45 Minuten einige Male, der eine sehr interessante Rolle bekleidete. Regelmäßig ließ er sichhinter Eichner auf die Linksverteidigerposition zurückfallen, um dort die Ballzirkulation zu sichern. Ansonsten driftete er meist durch die Zehnerräume.
Auf dem rechten Flügel spielte Chihi ähnlich frei, dabei aber höher. Der weniger kreative, aber dynamischere Dribbler versuchte in größeren Räumen die Bälle aufzunehmen und dann Geschwindigkeit aufzubauen. Hauptsächlich trieb er sich auf dem Flügel oder dem rechten Halbraum herum, womit Köln eine recht gleichmäßige Verteilung der Offensivräume auf Lehmann, Bigalke und Chihi hatte. Chihi besetzte die ‘Lehmann-fernen’ Räume, während Bigalke sich mit Lehmann die linken und halblinken Räume aufteilte. Das kleine Loch zwischen Lehmann und Chihi besetzte Strobl dann situativ.
Zwischen Genie und Wahnsinn
Diese Grundbalance sorgte dafür, dass Köln die auf den Flügeln geöffneten Räume souverän bespielen konnte und nie Probleme hatte, sichere Anspielstationen zu finden. Die Dresdner fanden über 90 Minuten keinen Zugriff im Mittelfeld, auch wenn Fiel und Losilla oft sehr intelligent herausrückten. Sie hatten aber keine Chance, mit nur vier vorwärts orientierten Spielen zwei bis drei Reihen kompakt zu bekommen. Die Kölner dominierten das Spiel daher rigoros.
Stanislawskis frei bewegliche Elf hatte aber große Schwierigkeiten damit, die Gäste auch auszuspielen. Die im Mittelfeld fehlende Dresdner Menpower war vor dem Strafraum stationiert und nicht einfach zu durchbrechen. Zwar brachte Köln ebenfalls viele Spieler in diesen Bereich, aber es fehlte stark an Abstimmung und Mechanismen, um Überraschungsmomente zu erzeugen.
Bröker und Ujah, die beide kaum Verantwortlichkeiten im Spielaufbau hatten, sollten dort für Durchschlagskraft sorgen und mit ihrer Geschwindigkeit die Schnittstellen anvisieren. Sie bewegten sich dafür sehr viel, zeigten auch oft Vorwärtssprints, aber sie wurden letztlich kaum eingebunden.
Das lag an der mangelnden Risikobereitschaft und Abgestimmtheit des Kölner Spiels in den und in die Zehnerräume. Dem FC gelang es nicht, die Spielkontrolle aus den Flügelräumen auch in diese wichtigen zentralen Positionen zu tragen. Gegen die guten Dresdner Sechser wagte man nur vereinzelte, zögerliche Versuche und verharrte lieber in der Sicherheit der leergeräumten Flügel. Im Zentrum fehlte die nötige Sicherheit und man wollte keine schwerwiegenden Ballverluste verursachen.
Diese fehlende Sicherheit war auch Resultat der mangelnden Struktur. Die Kölner bewegten sich besonders in diesen Räumen wahnsinnig viel und völlig frei, um die Dresdner zu Reaktionen zu verleiten, aber es verwirrte die Offensivkräfte wohl stärker als die Defensive. So fehlte es den Angriffsspielern an Verbindungen und Orientierung in den ständig frei wechselnden Ordnungen. Dynamos Viererkette verhielt sich dagegen geschickt und konzentrierte sich mit viel Übersicht auf die Sicherung des Strafraums, anstatt zu versuchen, mit riskanten Bewegungen Druck aufzubauen.

1. FC Köln presents: Die Erfindung des 3-0-1-6! Bröker dribbelt hierbei sogar vorwärts und spielt dann einen Fehlpass, der einen gefährlichen Konter einleitete.
Nur vereinzelt fanden die Kölner dann doch vor dem Strafraum zueinander und kombinierten sich teilweise wunderbar in Abschlusspositionen. Dann blitzte das Genie in jenem hochfluiden System auf. Meist aber dominierte der Wahnsinn das Angriffsspiel und die etlichen Bewegungen versickerten.
Das blinde Risiko – Überlegenheit oder Scheinüberlegenheit?
Trotz der Dominanz, die Köln ausstrahlte, ist es aus meiner Sicht fraglich, wie viel Überlegenheit sie tatsächlich auf dem Platz hatten. Die optische Überlegenheit resultierte aus der massiven Raumöffnung im Aufbauspiel und Dynamos passivem Defensivverhalten; beide Elemente erzeugten “blinde” Vorteile für Dresden.
Sprich: Durch das passive Verteidigen mit vielen Spielern im und am eigenen Strafraum kommt der Gegner leicht in Strafraumnähe, aber bricht nur sehr schwer sauber durch. Resultat sind viele gefährlich wirkende Aktionen, die aber unter großer Bedrängnis erfolgen oder leicht vorhersehbar sind, weil weitere Optionen fehlen.
Während Köln sich große Mengen dieser schlechten Chancen herausspielte, standen sie meist in einer miserabel abgesicherten Stellung. Wegen der massiven Räume im Mittelfeld (siehe Bild aus der 55. Minute) und der vielen Spieler vor dem Ball, war jeder halbwegs kontrollierte Ballgewinn von Dynamo eine sofortige Konterchance allerhöchster Qualität.
An der größten Chance der Kölner in Hälfte eins, kann man diese Blindfaktoren gut nachvollziehen:

Bigalke – hier von links außen bis auf die rechte Sechs rochiert – spielt einen verlagernden Pass auf Wimmer, während Lehmann auf links rochiert ist. Rot markiert ist der von Eichner freigeschobene Raum, den Dynamo nicht abdecken kann. Dennoch ist Bigalkes Pass riskant: Trojan fehlen nur ein bis zwei Schritte, um ihn abzufangen. Dann hätte Dynamo einen Überzahlkonter auf riesigen Raum gehabt. Die folgende Kölner Chance basiert also auf hohem Risiko.

Wimmer spielt weiter auf Lehmann, der mit Ball vorstößt. Trotz der Überzahl im Zentrum sucht Lehmann nicht diesen Kreativbereich, da die Bewegungen im Raum dort nicht strukturiert genug sind. Stattdessen kommt ein hoher Flugball in den Raum hinter den herausrückenden Gueye. Der Pass ist gut gespielt und Eichner kommt mit Gewalt hinter die Abwehr, aber Köln verliert dabei die Kontrolle über die Situation. Eichner ist nun völlig von den Mitspielern abgeschnitten, da Dynamo diszipliniert torseitig steht. Nur über einen unkontrollierten Abpraller erreichte der Ball zum Schluss Bigalke in guter Schussposition.
Kölns Gegentreffer entstand zwar aus einem individuellen Fehler und keinem “normalen” Ballverlust, allerdings verzeiht dieses System solche Fehler auch nicht. Zudem gab es – besonders im Anschluss an den Treffer – einige noch viel hochwertigere Kontersituationen, in denen Dynamo den letztendlichen Abschluss nur knapp verpasste, die aber wohl gefährlicher waren als die ein oder andere erzwungene Schussaktion der Kölner.

Hier sieht man, wie Köln schon in der absoluten Frühphase des Angriffs enorm offen steht. Jeder Fehler kann deshalb leicht bestraft werden. In dieser Szene verdaddelt Eichner den Ball gegen Koch und dieser kann das 0:1 einleiten.
Manchester City spielte übrigens vergangene Saison in Swansea 45 Minuten lang ein vergleichbares System wie die Kölner. Sie dominierten die Schussstatistik in dieser Phase eindeutig, verloren dann aber dennoch 1:0 durch einen Konter nach simplem Ballverlust im Aufbauspiel. Man muss also nicht Eichner heißen…
Dynamos Umschaltspiel und dessen Psychologie
Der Hauptgrund, dass ein Kölner Sieg am Ende aber sicher nicht unverdient gewesen wäre, und der FC überhaupt die zweite Halbzeit fast vollständig im Griff hatte, war das Dresdner Umschaltspiel, welches phasenweise schlicht miserabel war.
In der ersten Halbzeit provozierte Köln noch die Dresdner Fehler mit gutem defensiven Umschalten: Die Mittelfeldspieler praktizierten ein sehr schnelles und griffiges Gegenpressing in Ballnähe, mit dem sie besonders versuchten, die Pässe ins offene Zentrum zu verhindern, während die Abwehrspieler sich antizipierend um Pote kümmerten. Dynamos dynamischer Topstürmer wurde unter dem Druck des Gegenpressing dann oft zu früh und zu plump gesucht und konnte sich in schwierigen Situationen nicht durchsetzen.
In der angesprochenen guten Phase nach dem 0:1 zeigten die Dresdner, wie es hätte gehen müssen: Bessere Raumnutzung mit den ersten Pässen und anschließend Steilpässe auf die offenen Flügel, wo Ouali dann einige riesige Situationen aufgelegt bekam. Pote hätte weniger hektisch eingebunden werden müssen, was nur in dieser Phase funktionierte.
Später wurde Dynamo wieder hektischer und im Laufe der zweiten Halbzeit auch immer lethargischer. Um den Kölner Ausgleich herum rückten Trojan, Fiel und Losilla nach einigen Balleroberungen kaum noch auf, sondern schenkten die Kontersituationen träge her. Das ist gegen eine solch riskante Strategie natürlich fatal.
Da sich der Spielverlauf stark mit der Entwicklung des Dresdner Umschaltspiels überlagerte, darf man wohl über die psychologische Komponente spekulieren. Ein unbestrittenes Element des sehr dominanten Ballbesitzspiels, welches auch im Kontext mit dem FC Barcelona immer wieder aufgegriffen wird, ist schließlich, dass der Gegner durch die langen Phasen ohne jeden Spielzugriff verunsichert wird.
So schien es auch Dynamo zu ergehen, die auch aus dem ruhenden Ballbesitz heraus vor dem 0:1 deutlich hektischer waren als anschließend. Das Führungstor und später noch einmal das “drohende” Spielende brachten vermutlich das Mehr an Selbstbewusstsein und Antrieb, um die Räume, die der FC anbot, konzentrierter auszunutzen. Letztlich war das aber quantitativ einfach zu wenig.
Fazit
Kölns System ist ein sehr extremes Experiment und dieses Spiel steht symbolisch für alle Möglichkeiten und Gefahren, die sich daraus ergeben. Sie dominierten das Spiel fast immer, was der zentrale Vorteil der Ausrichtung ist. Von diesem Fundament aus können sie mit den fluiden Bewegungen in guten Momenten eine brillante Mannschaft sein, die sich spielerisch tolle Chancen herauskombiniert. Über die längsten Phasen blieb es aber bei unkreativ erzwungenen Angriffsaktionen, die nur in schlechten Halbchancen resultierten. Als der Gegner selbstbewusster wurde oder wenn die eigene Konzentration nachließ, drohte das System dann gar sich selbst zu zerlegen. Stanislawski hat ein großes Spektrum aufgefächert.
Dynamo fand kaum Antworten auf Kölns Spiel. Individuell ist ihrem Defensivspiel kaum etwas vorzuwerfen, gerade die Viererkette agierte meist sehr geschickt. Allerdings fehlte im kollektiven Pressing das taktische Geschick, um sich an die weitläufigen Verschiebungen des Gegners effektiv und griffig anzupassen. Auf den Flügeln hätte Dynamo mehr Raumorientierung benötigt. Auch im Konterspiel fehlte den Dresdnern zu oft der Blick in den Raum. In zu vielen Phasen erkannten sie nicht, welche Möglichkeiten zum Gegenschlag sich ihnen boten.
Somit gab es auf beiden Seiten viel Licht und Schatten, die sich am Ende auf ein 1:1 summierten. Je nach Perspektive kann man das in alle Richtungen interpretieren: Mit besserer Chancenverwertung oder niedrigerer Fehleranfälligkeit hätte Köln das Spiel souverän gewinnen können, mit höherer Konsequenz im Konterspiel hätte Dynamo das Spiel sogar vernichtend gewinnen können, mit stabilerem Angriffsspiel hätte Köln das gleiche gelingen können. Irgendwie schade, dass das Spiel nicht zeitnah wiederholt wird, um zu sehen, was denn noch so möglich gewesen wäre.

 http://spielverlagerung.de/2012/10/10/1-fc-koln-sg-dynamo-dresden-11/

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