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Sonntag, 10. November 2013

Teampsychologe Hermann: "Kein Mensch kann Erfolg garantieren"


Heute jährt sich zum vierten Mal Robert Enkes Todestag.Seit Enkes Selbstmord am 10. November 2009 steht die Frage im Raum: Muss sich etwas ändern? Ist der Fußball seitdem rücksichtvoller geworden? DFB.de sprach mit dem deutschen Teampsychologen über Grenzüberschreitungen –im Fußballstadion und auf Facebook.

Hans-Dieter Hermann: "Facebook schafft eine vermeintliche Nähe"
Hans-Dieter Hermann wird Joachim Löw und das Trainerteam darin unterstützen, dass die deutschen Nationalspieler mit der richtigen Einstellung zur WM nach Brasilien reisen. Leidenschaftlich und locker, ehrgeizig und teamorientiert, kämpferisch und kreativ. Der 53 Jahre alte Diplom-Psychologe betreut die Nationalmannschaft seit 2004. Brasilien wird Hermanns dritte WM. Jürgen Klinsmann hatte ihn ins "Team hinter dem Team" geholt.
DFB.de: Herr Hermann, als wir anfragten, ob wir mit Ihnen ein Interview über enthemmtes Fanverhalten führen dürfen, haben Sie gezögert. Worin bestanden Ihre Bedenken?


Hans-Dieter Hermann: Robert Enke litt an einer schweren Erkrankung, problematische Lebensereignisse haben seiner Depression Schübe gegeben. Robert Enkes tragische Geschichte hatte aber nichts mit schlechtem oder enthemmtem Fanverhalten zu tun. Man sollte das nicht vermischen.


DFB.de: Verstanden - dennoch wollen wir Robert Enkes Todestag zum Anlass nehmen, um über Grenzen des Fanseins zu sprechen. Vor zwei Wochen wurde Alemania Aachens Torwart geohrfeigt, als er nach dem Spiel gegen RW Oberhausen zum Block der eigenen Fans ging. Kevin Pezzoni, damals beim 1. FC Köln unter Vertrag, wurde 2012 auf einer Karnevalsfeier von einem verkleideten Unbekannten unvermittelt ins Gesicht geschlagen und dabei die Nase gebrochen. Und wenn man manche Internet-Einträge nach einem schwächeren Spiel der Nationalmannschaft liest, regiert die Fäkalsprache. Was läuft da aus Ihrer Sicht schief?


Hermann: Ich bin kein Fanforscher. Mir liegen auch keine Daten vor, weshalb es mir nicht leicht fällt, diese Vorfälle zu beurteilen, geschweige denn daraus Tendenzen abzuleiten. So viel aber kann ich sagen: Mir scheint es, dass Fans zunehmend glauben, sie hätten einen Anspruch auf Leistung und Erfolg, und zwar in einem Maße, wie es kein Mensch garantieren kann.


DFB.de: Weil die Sportart Fußball eben eine ganz besondere ist?


Hermann: Genau. In einem Fußballspiel gibt es so viele Freiheitsgrade, daraus resultieren hochkomplexe Folgeketten. Vieles hängt von vielem ab. Aber aus Sicht einiger Fans wird Misserfolg extrem personifiziert. Am Ende hat einer richtig schuld. Dazu kommt die Entwicklung der Kommunikationstechnologie. Neue soziale Medien wie etwa Facebook schaffen eine vermeintliche Nähe. Über Homepages sind die Spieler rund um die Uhr erreichbar, dabei kann der Fan den Spieler aus einer großen Anonymität heraus adressieren – oder eben attackieren.


DFB.de: In der Politik spricht man vom "Wutbürger". Gibt es auch den "Wutfan"?


Hermann: Ich habe Stadien erlebt, in denen ein Teil der heimischen Zuschauer enorm wenig Toleranz für ihre eigenen Spieler hatten. Es waren gar nicht so sehr die Stehkurven. Auch auf der Gegengerade oder der Haupttribüne saßen Leute, die haben dieses Weltbild: Fußballer verdienen zu viel und laufen zu wenig, also beschimpfe ich sie beim ersten Fehler.


DFB.de: So einfach kann alles sein.


Hermann: Zu einfach und damit falsch. Fußball ist ein Spiel, in dem Trainer alles daran setzen, den Zufall zu minimieren. Und dennoch fallen Tore oft aus Zufällen heraus. Diese Unberechenbarkeit macht zum Teil den Reiz des Fußballs aus. Dank wunderbar klarer Grafiken und bestechender Analysen im TV entsteht der falsche Eindruck, das Spiel sei komplett berechenbar. Wenn sich einer nur richtig anstrengt, muss das Spiel doch gewonnen werden. Aber die Freiheitsgrade im Fußball sind unendlich groß, so dass auch der Profi, der alles gibt, mal schlecht aussehen kann. Manche Fans brechen die Frustration runter auf Schuldzuweisungen - das ist nichts Neues. Neu scheint mir, dass bedingt durch die Technik ein Stück Schutzabstand fällt.


DFB.de: Der Kapitän der Nationalmannschaft hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass er eins gelernt hat, nämlich nie etwas im Internet über sich zu lesen. Was raten Sie den Nationalspielern für ihren Umgang mit Facebook und Twitter?


Hermann: Meistens nutzen Profis Kommunikationsagenturen für ihre Facebook-Seiten oder die Versendung von Tweets. Ich rate unseren Spielern, nicht den direkten Zugriff zu verlieren. Professionelle Betreuung ist wichtig, gleichzeitig sollte sich der Spieler Tendenzen oder durchaus auch mal einzelne Kommentare vorlegen lassen. Die permanente Auseinandersetzung ist nicht zu empfehlen. Es ist nur ein Klick, eine starke Emotion, oft in einer schlimmen Sprache.


DFB.de: Sie haben auch Österreichs Skifahrer betreut. Wie reagierten die österreichischen Skifans, wenn ihre Helden etwas langsamer den Berg runterkommen?


Hermann: Nein, so wie beim Fußball, das habe ich dort nicht erlebt. Ich muss aber auch sagen, ich war bei den Abfahrern, das sind in unserem Nachbarland die Helden schlechthin. Abfahrer riskieren bei jedem Rennen Kopf und Kragen, manche erlitten verheerende Verletzungen. Die genossen seitens der Anhänger einen wohltuenden Schutzstatus – auch in Leistungskrisen.


DFB.de: Hätten die Fußballer den nicht auch verdient?


Hermann: Ja! Was gerade unsere Nationalspieler leisten, ist phänomenal. Und wer zum Beispiel am 25. Mai, also außerhalb der Saison, nach Aserbaidschan fliegt, der spielt schon leidenschaftlich gerne Fußball für Deutschland. Monetäre Gründe wirken hier jedenfalls nicht. Ich habe in meinen nun neun Jahren bei der Nationalmannschaft noch nie einen Murren über angesetzte Spiele oder Reisen gehört. Für mich ist es absolut unangebracht, wenn Spieler oder Trainer im Stadion oder im Netz in einer beleidigenden Form angegangen werden. Öffentliche Kritik ist natürlich okay auch im Fußball, auch an einzelnen Spielern, aber übelste Beleidigungen oder noch Verletzenderes sind nicht akzeptabel.





Sein Todestag jährt sich zum vierten Mal: Robert Enke


DFB.de: Hat sich also nichts verändert in den vergangenen vier Jahren?


Hermann: Innerhalb der Mannschaften ist eine neue Aufmerksamkeit gewachsen, da hat sich ein Gefühl entwickelt, wann für den Einzelnen der Druck überhand nimmt. Gleichzeitig ist bei Spielern und Trainern ein Bewusstsein dafür entstanden, dass eine psychische Überbelastung vorkommen kann. Heute muss man sich dann nicht mehr verstecken. Dort sehe ich durchaus eine Besserung.


DFB.de: Müssen Fußballer vielleicht einfach damit leben, dass das Stadion eine Ventilfunktion hat? Der Ort, an dem man Dampf ablassen darf.


Hermann: Fraglos, der Fußball muss damit leben. Ich denke, wir sollten uns aber immer wieder vergegenwärtigen, dass die meisten Menschen, die zufrieden sind, sich nicht äußern. Du kriegst eben viel weniger mit, wenn Fans stolz sind auf die Leistung. Die Dumpfbacken sind oft sehr sichtbar, Anerkennung und Fußballsachverstand sind oft viel stiller. Das Ganze ist auch ein Wahrnehmungsphänomen.


DFB.de: Wie schlimm ist für einen Spieler die persönliche Anfeindung?


Hermann: Schlimm ist eine negative Fanreaktion bei einem Heimspiel. Wenn Spieler im eigenen Schutzraum unflätig angegriffen werden, kann das eine massive Wirkung auf den Spieler haben. Sie werden verunsichert, das geht dann enorm an das Selbstwertgefühl und verändert sichtbar die Spielweise. Oft gibt's danach nur noch Sicherheitspässe. Wer bei der Einwechslung im eigenen Stadion schon Pfiffe kassiert, hat's danach wirklich schwer. Pfiffe im Stadion des Gegners von gegnerischen Fans beeinträchtigen das Selbstwertgefühl dagegen kaum, manche erleben sie sogar als motivierendes Element.


DFB.de: Was ist Ihre bleibende Erinnerung an Robert Enke?


Hermann: Sein mildes Lachen, er konnte auf Andere wunderbar zugehen – auch im Mannschaftskreis. Robert war ein ganz feiner Mensch.

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